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LEUCHTENDE MARK

14. April 2017

 

An fast jedem Wochenende ist der Berliner Maler Thomas Lünser in Brandenburg unterwegs

Von Roland Lampe

Es gibt wohl kaum einen zweiten Maler, der die Brandenburgische Landschaft so zum Leuchten bringt wie der Berliner Thomas Lünser. Es leuchtet das Gelb der Rapsfelder und Strohballen, es leuchtet das Blau der Havel bei Petzow und Zehdenick, und es leuchtet das Rot einer Scheune in der Prignitz oder des Kirchendaches in Klein Briesen.

Die oft benutzte Formulierung von den leuchtenden Farben, hier findet sie ihre Entsprechung. Euphorie ist Thomas Lünser fremd, wenn man anfängt vor seinen Bildern zu schwelgen und zu schwärmen, bleibt er still, im besten Fall entlockt es ihm ein Lächeln. Dann, wenn sich der Betrachter wieder beruhigt hat und mit ihm ins Gespräch kommt, beginnt er von „Farbigkeit und Strichführung“ zu reden und von dem Einfluss, den die Expressionisten auf ihn hatten. Allerdings hat er stets versucht eine eigene Handschrift zu entwickeln. Er hat in so ziemlich allen graphischen Techniken gearbeitet, die bekannt sind (Tiefdruck, Flachdruck, Hochdruck). Malerisch mit Öl, Acryl, Gouache und Tempera experimentiert, manche auch gemischt. Collagentechniken und Monotypien ausprobiert, gespachtelt, gepinselt, gewischt. Und zwischendurch hat er immer wieder zum Aquarellkasten gegriffen. Malerei bedeutet für ihn eine starke Bewusstseinserweiterung. Man erlebt seine Umwelt viel intensiver, schaue genauer hin, entdecke dadurch Dinge, die man sonst nicht sehen würde und erschaffe „Welten“, die keiner vorher gesehen hat …

Geboren 1963 im Thüringischen Suhl, lebt Thomas Lünser seit seinem 18. Lebensjahr in Berlin. Hier studierte er nach seiner dreijährigen Armeezeit von 1984 bis 1989 an der Hochschule für Ökonomie in Karlshorst Außenwirtschaft. Wurde ein Diplom-Ökonom. Anschließend begann er im Ministerium für Außenhandel zu arbeiten, aber bereits nach einem halben Jahr war mit der Wende „alles den Bach runter gegangen, und die DDR existierte nur noch als Schrotthaufen.“ In den Neunzigern schlug er sich mit verschiedenen Jobs durch, unter anderem als freischaffender Journalist, Maler und Graphiker. Aufgrund „familiärer Entscheidungen“ – seine Frau war im Babyjahr – heuerte er bei einer arabischen Handelsfirma an, für die er ein Agenturnetz für Reisen in den Orient etablierte. Um „irgendwann mich dann mal selbständig zu machen und ein eigenes Handelshaus zu gründen“, zuerst für Tee und für Flaggen, jetzt nur noch für letzteres.

Das Kaufmännische, so engagiert und fachkundig er es auch betreibt, bedeutet für ihn Broterwerb, Alltag und Pflicht, die Malerei hingegen Neigung, Freizeit, Sinnlichkeit und Leidenschaft. Er malt seit seiner frühesten Kindheit. „Ernsthaft habe ich mich erst seit meinem 18. Lebensjahr mit Malerei beschäftigt, bin über das ‚Volkskunstschaffen’ entdeckt worden.“ Lünser war in der DDR jahrelang Mitglied einer Maler-Gruppe im Friedrichshainer Studio „Otto Nagel“. Nachdem er „Anerkannter Volkskünstler“, wie er es nennt, geworden war, hatte er eine Steuernummer und durfte frei verkaufen. Seine Lehrer damals waren Knut Norbert Firchau und Wolfram Petri. Mit seiner Gruppe war er „bei fast jedem Volksfest“ dabei, zeichnete Portraits, bemalte Häuserwände und verkaufte Graphiken. Auf vielen Ausstellungen in Berlin, Brno, Mikulov (Mähren), Moskau, Plovdiv, Cottbus, Gera und Leipzig zum Beispiel war er vertreten. Eine Zeit, die ihn sehr geprägt hat und von der er gern erzählt.

In den Neunzigern wurde das Blickfeld größer, neue Motive kamen hinzu. Voller Neugier – natürlich hatte sich auch bei ihm die Reiselust angestaut – bereiste er den Orient, Fernost, Mittelamerika und Westeuropa. Alles wurde kommerzieller, sagt er aus eigener Erfahrung im Nachhinein, schließlich lebte er in der Zeit nach der Wende von seiner Malerei und Graphikverkäufen, beteiligte sich an Ausstellungen in Paris, Prag, Brüssel und in Österreich.

Warum nun gerade Brandenburg? Er wäre ja nicht der einzige Berliner Künstler, der diese Gegend ignoriert. Nun, einerseits liege Brandenburg direkt vor der Haustür, das sei praktisch, oder anders gesagt man sei schnell da. Zum anderen stößt sich Lünser am „Aschenputtel“-Image von Brandenburg, wie er es nennt. Viele rümpften die Nase über die Gegend, reisten ans Mittelmeer, in die Alpen oder an die Küste. „Diese scheinbare Reizlosigkeit hat für mich jedoch viel Anziehungskraft“, erklärt er. „Vereinfacht gesagt: Dramatische Berglandschaften kann man schon als drittklassiger Maler hinzaubern und einen Sonnenuntergang am Meer kann selbst ein unbegabter Mensch pinseln. Spröde Ebenen, Kiefernwälder, träge Flüsse, Eiszeithügel – da fängt die Landschaftsmalerei erst an.“

An fast jedem Wochenende ist er „irgendwo“ in der Mark unterwegs. „Das ist für mich auch ein Kontrast zum lauten Berlin. Je öfter ich ‚draußen’ bin, desto mehr fühle ich mich frei und ungebunden, und desto unbeschwerter kann ich malen. Die Jahreszeiten spielen keine Rolle, es gibt kein schlechtes Wetter für dieses Land. Ich habe immer Skizzenblock und Malerrucksack im Auto. Wo es mir gefällt, verweile ich dann eben …“ Eine große Menge an Bildern ist inzwischen auf diese Art und Weise entstanden. Lünser hat sie nicht gezählt, es werden weit über 1000 sein, Skizzen nicht mitgezählt. Als Motive bevorzugt er „Flusslandschaften, alte Industriebrachen, Schlösser und Gutshöfe, Tagebaue, Felder mit Raps, Herbstwälder im Nebel, M.rzstürme und vieles mehr.“ Wie entstehen die Bilder, was wird auf den Malausflügen vorbereitet, was später im „Atelier“ (das er nicht hat) vollendet? Das hängt von der Technik ab, erklärt Lünser. Manche Bilder, Aquarelle zum Beispiel, entstehen vor Ort, andere „nächtens“ zu Hause. Manche Motive werden 1:1 von einer Skizze umgesetzt, andere sind das Extrakt aus vielen Skizzen, die dann in einem Bild zusammenkommen. Und noch andere entstehen neuerdings sogar nur aus der Erinnerung an ein flüchtig gesehenes Motiv. Natürlich gab es auch bereits Ausstellungen in diversen Galerien in Brandenburg selbst, so in Strausberg, in Altlandsberg, in Ihlow (dort steht auch die Kunsthalle, die sein Freund Udo Hagedorn betreibt und in der seine Bilder ständig vertreten sind), in Cottbus, Potsdam, Prötzel und in Frankfurt/Oder. Lünser ist ferner in der Künstlergruppe „Ostwind“ unter Leitung des Galeristen Otto Edel vertreten.

Ein Höhepunkt für ihn war zweifelsohne eine Ausstellung seiner Bilder 2009 in der Brandenburger Landesvertretung bei der EU in Brüssel. Und selbst als Künstler kann er den Kaufmann nicht verleugnen, wenn auch nicht ohne leise Selbstironie. „Ja, ich kommerzialisiere auch: Es gibt Kalender und Postkarten mit Motiven von mir als Kaufobjekte.“ „Wie bei dem alten Fontane“, erzählt Lünser, ein großer Liebhaber dieses Schriftstellers übrigens, gibt es auf seinen „Reisen in die Mark“ auch stets feste Begleiter, vor allem seinen kleinen Sohn Julian, der „auch schon zeichnet und alles aufschreibt“, Malerfreunde oder andere Freunde, „die sich einfach nur darauf freuen, mal ins ‚Jrüne’ zu kommen.“ (Wobei in Sachen Fontane zu widersprechen wäre, es war der junge Fontane, der reiste, und vorwiegend tat er’s allein.)

Wer schon einmal auf einem dieser Ausflüge mit dem Berliner Maler unterwegs war, erlebt ein Phänomen. Man plaudert die ganze Zeit angeregt miteinander, gerät ins Diskutieren über irgendein Problem aus Wirtschaft oder Politik und achtet irgendwann nicht mehr auf die Landschaft, während er sie gleichzeitig mit scharfem, geübten Malerauge studiert, ja förmlich in sich aufsaugt, um sie dann Tage oder Wochen später auf seinen Bildern zu präsentieren. Und wie nun bringt er sie – die Landschaft, die Farben, die Bilder – so zum Leuchten? Da schweigt der Künstler wieder und lächelt.

Ab 9.3.2011 stellt Thomas Lünser unter dem Titel „Hochwasser, Nixen und Kraniche. Prignitz- und andere Bilder“ in der Stadtbibliothek in Perleberg aus. Die Vernissage beginnt um 19 Uhr.

ÜBER THOMAS LÜNSER

Es gibt wohl kaum einen zweiten Maler, der die Brandenburgische Landschaft so zum Leuchten bringt wie der Berliner Thomas Lünser. Es leuchtet das Gelb der Rapsfelder und Strohballen, es leuchtet das Blau der Havel bei Petzow und Zehdenick, und es leuchtet das Rot einer Scheune in der Prignitz oder des Kirchendaches in Klein Briesen.

Malerei bedeutet für ihn eine starke Bewusstseinserweiterung. Man erlebt seine Umwelt viel intensiver, schaue genauer hin, entdecke dadurch Dinge, die man sonst nicht sehen würde und erschaffe „Welten“, die keiner vorher gesehen hat …

Geboren 1963 im Thüringischen Suhl, lebt Thomas Lünser seit seinem 18. Lebensjahr in Berlin.